Die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung wird von vielen Unternehmen beinahe ignoriert und die Taxe in Kauf genommen. Zu komplex, zu viel Risiko und zu wenig Business-Case. Warum das nicht so ist und wie es funktionieren kann, haben wir uns in einem Praxisbeispiel näher angesehen. Dazu haben wir Herrn Mag. Alexander Handl, Leiter Personal bei Generali, zum Gespräch gebeten.

Seit wann beschäftigt die Generali Menschen mit Beeinträchtigung und wie viele Mitarbeiter sind es derzeit?
Die Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigung ist für uns definitiv nichts Neues. Sprechen wir von begünstigt behinderten Menschen im Sinne des Gesetzes, also Menschen mit mehr als 50% Beeinträchtigung, beschäftigen wir derzeit 135 Personen. Arbeitnehmer mit einer Beeinträchtigung von weniger als 50% Beeinträchtigung werden bei uns nicht gezählt und erfasst.
Welche Überlegungen hat die Generali dazu bewogen Menschen mit Beeinträchtigung einzustellen?
Es ist eine verankerte Grundhaltung und gehört zur Unternehmenskultur der Generali, niemanden aufgrund einer Beeinträchtigung oder Behinderung zu diskreditieren oder zu diskriminieren.
Das wurde allerdings nie groß nach außen getragen. Wir haben sehr wohl eine Unternehmens-Policy, Vereinbarungen über Inklusion und viele Dinge mehr. Interne Richtlinien, die Konzerne unserer Größe natürlich haben. Allerdings sehen wir das nicht als eine Kampagne, sondern als ein über Jahrzehnte gewachsenes und selbstverständliches Bekenntnis, Menschen, die eine Beeinträchtigung haben, einzustellen bzw. weiter zu beschäftigen.
Wie lange beschäftigen Sie sich persönlich mit dem Thema bzw. mit welchen Vorurteilen und Problemen hatten Sie zu kämpfen?
Ich bin jetzt mittlerweile 9 Jahre im Unternehmen. Ich habe mich aber auch davor schon mit der Thematik auseinandergesetzt. Vorurteile waren damals vorhanden und sie gibt es auch heute noch.
Ich glaube, dass die Angst davor größer ist als das Risiko, das man damit hat.
Ich möchte auch nicht den Eindruck erwecken, dass bei uns alles immer glatt läuft. Grundsätzlich werden diese Vorurteile und Probleme allerdings überbewertet. Es kommt in der Praxis fast nicht vor, dass sich jemand hinter dem vielzitierten Kündigungsschutz oder generell seiner Beeinträchtigung versteckt.
Man kann es bei einem Betrieb von über 5.000 Mitarbeitern natürlich nicht ausschließen, aber die Gefahr wird eindeutig überschätzt. Bis auf ein paar wenige, die die Situation ausnützen, haben sich alle höchst anständig und produktiv verhalten!
Nimmt die Generali, nehmen Sie, externe Hilfe in Anspruch?
Natürlich. Auch bei uns werden Kapazitäten immer knapper und der Arbeitsaufwand steigt. In so einer Situation jemanden mit einer Beeinträchtigung zu rekrutieren stößt grundsätzlich nicht auf 100% Verständnis und Zustimmung der MitarbeiterInnen. Das unmittelbare Arbeitsumfeld kann hier nicht einfach sich selbst überlassen werden. Genau hier nehmen wir externe Hilfe in Anspruch. Da ich davon überzeugt bin, dass sowohl die Führungskraft als auch die Kollegenschaft ordentlich involviert, informiert und betreut werden muss, ist für uns beispielsweise die Arbeitsassistenz hilfreich.
Viele Menschen können insbesondere mit psychischen Beeinträchtigungen nicht umgehen. Nicht weil sie eine negative Grundeinstellung haben, sie tun sich damit einfach schwer. Es gibt Krankheitsbilder, bei denen sich die Betroffenen zurückziehen oder unberechenbar werden, was durchaus als Absicht, Arbeitsverweigerung oder unkollegiales Verhalten gedeutet werden kann. Wenn man das nicht moderiert und begleitet, dann wird es schwer. Hier braucht es interne aber auch externe Team-Coaches, Teambuilding-Maßnahmen, Arbeitsassistenz oder Moderation. Dafür muss man offen bleiben.
Wie viel Aufwand ist es demnach tatsächlich die Inklusion in den Arbeitsplatz im Berufsalltag zu schaffen?
Wenn gerade am Beginn professionell und ordentlich gearbeitet wird, ist der Aufwand nicht groß. Betrachte ich als Unternehmen die Beschäftigung als Investment und reserviere dafür von Anfang an auch Ressourcen, dann funktioniert es. Und genau das haben Unternehmen selbst in der Hand.
Was uns zusätzlich hilft, ist unser Netzwerk an Behindertenvertrauenspersonen, die sich mit dem Thema professionell beschäftigen und auch selbst Betroffene sind. Dadurch haben wir einen viel niedrigschwelligeren Zugang zu unseren Mitarbeitern mit Beeinträchtigung. Man geht in der Regel einfach nicht mit gesundheitlichen Problemen zur Personalabteilung. Durch unser Netzwerk erfahren wir von Beeinträchtigungen und Lebenskrisen kanalisiert und können die Situationen entsprechend managen. Dieses System ist bei uns über viele Jahre gewachsen und eine ähnliche Herangehensweise kann ich meinen Kollegen in anderen Unternehmen nur empfehlen.
Hat man diesen Rat beachtet und den Beginn gut gemeistert, wie wirkt sich dann die Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigung auf das Team und das gesamte Arbeitsklima aus?
Bereichernd, absolut bereichernd! Dazu gibt es in unserem Unternehmen mehrere Beispiele, mir fällt ein Lehrling mit Beeinträchtigung ein, der sich sehr gut entwickelt hat. Besonders positiv auf das Arbeitsklima wirkt es sich aus, wenn die Kollegen sehen, dass Mitarbeiter, die eine Behinderung erwerben, nicht fallen gelassen sondern unterstützt werden. Hier ist auch das Verständnis im Team mit entsprechender Begleitung noch leichter zu erreichen, als wenn jemand mit einer Behinderung von außen dazukommt. Auch das ist ein Weg, um Ängste im Umgang mit dem Thema abzubauen.
Ein für viele Unternehmen wichtiges Thema ist das der öffentlichen Förderungen. Können Sie hier Angaben machen, ob Sie Förderungen in Anspruch nehmen bzw. in welchem Verhältnis diese stehen?
Ja wir nehmen Förderungen in Anspruch. Wiedereingliederungsbeihilfen, Arbeitsassistenz, Beratungsleistungen und andere Dinge mehr. Wir haben damit auch durchaus gute Erfahrungen gemacht. Wir wissen nicht alles und unsere Mitarbeiter und Führungskräfte können auch nicht automatisch mit jeder Beeinträchtigung umgehen. Nicht weil sie unwillig sind, sondern weil sie damit teilweise auch überfordert sind.
Fließt in Ihrem Entscheidungsprozess auch die unternehmerische Herangehensweise des Kosten-Nutzen-Denkens mit ein? Wenn ja, wie bewerten Sie diese?
Natürlich spielt auch das eine zentrale Rolle, wie bei jedem gewinnorientierten Unternehmen. Da wären wir auch wieder bei den Förderungen, die uns helfen, bei einer Neuanstellung, bspw. bei den Lehrlingen, trotzdem noch einen Business-Case zu haben.
Allerdings sehen wir auch den positiven kulturellen Effekt und der ist uns einfach etwas wert. Dazu sei auch gesagt, dass die meisten der 135 begünstigt behinderten Mitarbeiter, die wir beschäftigen, erst im Laufe ihres Berufslebens in diesen Status gekommen sind. Wir haben eine sehr lange Unternehmenszugehörigkeit von durchschnittlich 20 Jahren. Da gibt es bei uns, abseits der Gewinnorientierung, einfach den breiten Konsens, diese auch weiterhin in unserem Team zu haben.
Welchen Tipps können Sie Unternehmerinnen und Unternehmern geben, die sich gerade vor der Einstellung ihres ersten Mitarbeiters mit Beeinträchtigung befinden?
Meinen Kollegen in dieser Situation würde ich vor allem dazu raten, als ersten Mitarbeiter jemanden zu beschäftigen, bei dem der Arbeitsbeitrag ein eigentlich sehr guter sein müsste. Es ist wichtig, dass die erste Beschäftigung gut funktioniert, um vor allem den kritischen Stimmen im eigenen Unternehmen die Vorurteile zu nehmen.
Weiters ist wichtig, dass die unmittelbar betroffenen Kollegen informiert und betreut werden. Damit tue ich auch den Personen mit Beeinträchtigung etwas Gutes, da es eben nicht möglich ist, sich in seinem ersten Jour-fixe bis ins Detail über seine Krankheit auszubreiten. Wenn man diesen Prozessschritt auslässt, wird es nur funktionieren, wenn man Glück hat.
Als letzten Punkt möchte ich davor abraten, als erstes eine Marketingkampagne ins Leben zu rufen, um damit Aufsehen zu erregen. Es geht hier um Menschen mit Beeinträchtigungen, um die Schwächeren in unserer Organisation und in der Gesellschaft. Einfach mit konkreten Projekten beginnen und nicht mit dem Drucken von Hochglanzbroschüren.
Autor: Lukas Winter
Bilder: Martina Draper | Pixabay
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