Seit den 70er-Jahren werden einzelne Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten im Arbeitsrecht eliminiert. Durch Sebastian Kurz wird nun eine Gleichstellung auch von der ÖVP gefordert. Wir sprachen mit O. Univ. Prof. Dr. Franz Marhold von der WU Wien über Möglichkeiten und Hürden im Polit-Poker.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat mit seiner Forderung das Arbeitsrecht für Arbeiter und Angestellte gleichzustellen eine ursprüngliche SPÖ-Forderung mitaufgenommen. Ist dieser Vorstoß Ihrer Meinung nach eine soziale und wirtschaftlich notwendige Maßnahme oder parteistrategische Spielerei?
Unter dem Aspekt der Gerechtigkeit ist das durchaus ein Sachanliegen. Allerdings gab es bereits in den 70er-Jahren eine Arbeitsrecht-Kodifikationskommission, deren Bestreben eine umfassende Kodifizierung war. Ergebnis damals war bspw. das Arbeitsverfassungsgesetz, das das kollektive Arbeitsrecht (Kollektivvertragsrecht, Betriebsvereinbarungen, Betriebsräte) kodifiziert hat. Das Individualarbeitsrecht, das Arbeitsvertragsrecht ist hingegen – mit Ausnahmen des Urlaubsrechts und des Abfertigungsrechts – nie kodifiziert worden.
Die Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten sind ja doch sehr umfangreich. Sie reichen von der Entgeltfortzahlung bis zu den Kündigungsregelungen. Welche sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede die für Arbeiter die meisten Probleme darstellen?
Der wesentliche Punkt ist jener der Kündigungsfristen. Im Bereich der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gab es auch in der aktuellen Legislaturperiode Verhandlungen der Sozialpartner, die praktisch vor dem erfolgreichen Abschluss standen. Am 12. Oktober gab es dann eine Einigung und die Gleichstellung wurde umgesetzt.
Aus Unternehmenssicht bringt diese Gleichstellung oberflächlich gesehen zuerst höhere Kosten und Aufwände. Können Sie dies bestätigen oder sind hier für Unternehmer auch Vorteile auszumachen?
Ja, allerdings wird durch eine Gleichstellung ja niemandem etwas weggenommen. Eine Gleichstellung bedeutet nicht zwangsweise, dass Rechte der Arbeiter und Angestellten angeglichen werden. Man kann genauso für beide Gruppen neue Regelungen (er)finden. Konkret zum Thema Kündigungsfristen: die wesentlichen Unterschiede liegen darin, dass die gesetzliche Kündigungsfrist bei Arbeitern sehr kurz (14 Tage) und ohne Kündigungstermin ist. Angestellte hingegen haben eine Frist von mindestens 6 Wochen und einen Kündigungstermin, sodass gesetzlich ein Dienstverhältnis nur zum Kalendervierteljahr beendet werden kann. Viele Kollektivverträge beinhalten heute bereits die Möglichkeit, einen Kündigungstermin auf den 15. oder Monatsletzten zu legen, andere wiederum schließen das aus.
Bei Arbeitern kann der Kollektivvertrag die ohnehin bereits ungünstigen Fristen noch weiter verkürzen. Der Bäckereiarbeiter-KV geht bspw. unter die 14 Tage. Genauso der KV im Baugewerbe. Ein Kompromiss zur Gleichstellung könnte nun die Fristen der Angestellten nehmen, den Kündigungstermin komplett streichen, und das ganze wird KV-dispositiv.
Für den Unternehmer bedeutet dies aber einen Nachteil.
Ja, das stimmt. Er müsste dann längere Fristen einhalten.
Wird die Wirtschaft demnach bei dieser Forderung mitziehen oder ist mit massivem Gegenwind zu rechnen?
Hier muss sicherlich verhandelt werden. Abgesehen von den Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall müssten die Sozialpartner verhandeln. Schließlich ist Arbeitsrecht ja die Domäne der Sozialpartner.
Sehen Sie durch eine Gleichstellung Auswirkungen auf die Lohnkosten?
Ich sehe keine. Durch eine etwaige Fristverlängerung bei einer Kündigung entstehen keine höheren Kosten. Ein Arbeitgeber müsste allerdings früher reagieren.
Kann sich das Sozialsystem diese Gleichstellung leisten oder ist Ihrer Meinung nach gar mit einer Teuerung in den Beiträgen zu rechnen?
Die Beiträge sind weitestgehend harmonisiert. Ein Problem besteht zwischen den ungelernten Arbeitern und den Angestellten. Ersterer kann, bevor er eine Invaliditätspension zugesprochen bekommt, auf den gesamten Arbeitsmarkt verwiesen werden. Ein Angestellter hingegen kann nur auf den erlernten Beruf verwiesen werden. Die gesundheitsbedingte Frühpension müsste reformiert werden, allerdings ist eine Angleichung hier kaum leistbar.
Österreich hat bekanntlich einen Facharbeitermangel. Durch diese Regelung könnte eine Arbeitsstelle als Facharbeiter vermutlich aufgewertet werden. Wäre die Gleichstellung ein geeignetes Mittel, um dem Facharbeitermangel entgegenzuwirken und dadurch langfristig für Unternehmen Vorteile zu erzielen?
Ja. Wir brauchen dringend eine Verbesserung der Reputation von Facharbeitern. Angestellte und Arbeiter sollen grundlegend angeglichen werden, denn das Angestelltengesetz beinhaltet die höchstqualifizierten Facharbeiter nicht in seinem Geltungsbereich.
Sehen Sie noch weitere Auswirkungen durch eine Gleichstellung?
Ein Punkt, der sehr selten angesprochen wird, ist jener der Gewerkschaften. Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Industriegruppen bei den Arbeitern, auf der anderen Seite eine einheitliche Angestelltengewerkschaft. Eine Gleichstellung hätte also durchaus auch Auswirkungen auf die Gewerkschaftsorganisation und die Betriebsräte. Gibt es keine Unterschiede mehr, schwinden auch gewisse Existenzberechtigungen. Ich bin also gespannt, ob und wie sich die beteiligten Partner einigen werden.
Autor: Lukas Winter
Bilder: ZVG | Pixabay
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